Der Wetterbericht versprach nichts Gutes. Temperaturen mit über 32 °C waren für heute angesagt. Dazu die beiden Blasen unter meinen Füßen – nun gut, es gibt Schlimmeres, aber damit noch einmal rund 30 km Laufen zu wollen ist auch nicht unbedingt angenehm.
Ich stehe früh auf und gehe frühstücken. Außer mir sitzt nur ein Herr im Frühstücksraum, mit dem ich ins Gespräch komme. Er grinst, als er mein Shirt sieht. “Meine Frau ist auch amputiert – Unterschenkel…” erklärt er mir. Er fragt, was es mit meiner Aktion auf sich hat. Ich erkläre ihm den Hintergrund, dass Sigruns Krankenkasse die Kostenübernahme für eine Sportprothese verweigert und sie deshalb Spenden sammeln müsse, um sich diesen Traum sportlicher Aktivitäten zu ermöglichen. Verwundert schaut er drein. “Meiner Frau wurde von der gesetzlichen Krankenkasse angeboten, dass, wenn sie es schaffe, fünf und mehr Kilometer in einem angemessenen Tempo zu laufen, sie ohne Probleme auch eine Carbonfeder bezahlt bekäme.” führt er aus, was mich wiederum verdutzt dreinschauen lässt, kenne ich doch die Begründungen aus vielen Urteilen des Bundessozialgerichts, dass die Förderung des Freizeit- und Vereinssports nicht zu den Aufgaben der gesetzlichen Krankenkasse bei der Hilfsmittelversorgung gehört. Während wir beide frühstücken, unterhalten wir uns über unsere Pläne. Er ist mit dem Rad unterwegs, will jeden Tag seine 30 km machen – ich mache die gleiche Strecke zu Fuß. Schließlich wird es für uns beide Zeit, aufzubrechen.
Ich bezahle mein Zimmer, packe meine restlichen Sachen zusammen, schultere meinen Rucksack – und dann hat mich die Straße wieder. Zunächst geht es noch durch die Innenstadt von Werl.
Diesmal sind die Straßen voller Leben. Ich besorge mir noch Kaugummi und einen Lippenpflegestit, da meine Lippen aufgesprungen sind. Dann geht es weiter auf die Bundesstraße 1, die mich dieses Mal wieder ein großes Stück meines Weges begleitet. Und irgendwann hört dann auch der Fußweg neben der Bundesstraße wieder auf …
Hin und wieder finde ich am Rande der Straße interessante Gehöfte, für die es sich lohnt, stehen zu bleiben und ein Foto zu machen. Im Großen und Ganzen ist es aber eine verdammt lange Straße, die ich da entlang ziehe. Nach 8 km und zwei Stunden Laufzeit mache ich unter einer großen Linde vor einem Gehöft eine Pause. Von den angenehmen 15 °C ist nichts mehr zu spüren. Jetzt, um 11 Uhr, hat es bereits 26 °C – und die Temperaturen steigen weiter.
Nach einer viertel Stunde Pause geht es weiter. Aus meinen 50 km Märschen zum Beginn des Jahres habe ich gelernt, dass ich nicht zu lange Pause machen darf, da ich sonst es nicht wieder schaffe, in mein altes Tempo zurückzukommen. Nach ungefähr 10 km auf der Bundesstraße 1 biege ich links ab, an zwei, drei Häusern vorbei geht es schließlich rechts durch einen Bauernhof weiter. Ich gehe über kleine Feldwege, direkt unter der sengenden Sonne. Vereinzelt stehen Bäume, die Schatten spenden können, hin und wieder finde ich auch eine kleine Allee.
An einem Sonnenblumenfeld vorbei führt der Weg zu meinem nächsten Rastplatz. Ein kleine Bank steht unter einem großen, Schatten spendenden Baum. Ein kleiner Luftzug mach es angenehm, hier zu sitzen. Doch auch hier verweile ich nur eine gute viertel Stunde, dann geht es weiter.
Zwischenzeitlich haben die Temperaturen ihre 30° C erreicht. Die Sonne brennt immer unbarmherziger vom Firmament. Meter um Meter, Kilometer um Kilometer zieht sich der Weg.
Als es Kräfte mäßig nach 22 Kilometern nicht mehr weiter gehen will, kommt zum Glück ein kleiner Supermarkt in Sicht, der zu meiner Freude auch gekühlte Getränke anbietet. Ich kaufe mir eine 1l Flasche Coca Cola – 2,65 EUR sind ein stolzer Preis – gehe damit vor die Tür, öffne die Flasche und lasse mir das kühle Getränk die Kehle hinab rinnen.
Die Wirkung, die dieses kühle Getränk hat, ist erstaunlich – binnen einer kurzen Zeit kehren meine Kräfte zurück, fast so wie bei Miraculix Zaubertrank. Meine Schritte werden wieder schneller und ich sehe so langsam mein Ziel vor Augen.
Die letzten Kilometer laufe ich durch die Randgebiete von Schwerte, bis ich endlich mein Hotel im Zentrum Schwertes nach 31,21 km erreiche. Von den Temperaturen und der Strecke erschlagen, checke ich ein, beziehe mein Zimmer und ergänze dann meinen Wasservorrat für den nächsten Tag, bevor ich mich dusche und mein Lauftagebuch schreibe.