
Wie die Tage zuvor, bin ich auch heute morgen schon gegen 6.00 Uhr wach. Mein erster Griff geht zu meinem Tablet, die Mails checken – ich warte schon auf das E‑Paper vom “Täglichen Anzeiger” aus Holzminden. Da es noch nicht in der Mail ist, kaufe ich es spontan und ergänze damit den Pressespiegel. Anschließend dusche ich, packe meine Sachen zusammen und gehe zum Frühstück.
Während des Frühstücks schaue ich mir die aktuellen Wettervorhersagen an und plane gleichzeitig meine Route. Heute will ich die Strecke von Paderborn nach Erwitte bestreiten, mit Zwischenstopps in Salzkotten und Geseke. Insgesamt habe ich mir für die nächsten Tage Strecken um die 35 km vorgenommen, damit ich am Freitag in Wuppertal sein kann. Die Temperaturen für heute sollen dazu angenehm sein, am Morgen hat es in Paderborn angenehme 15 °C.
Nach dem Frühstück geht es dann los. Schnell lasse ich die Stadt hinter mir und komme in die Randbezirke.
Und zu meiner Freude haben diese Randbezirke Fuß- und Radwege an der Straße. Aber auch diese Straßen habe ich bald hinter mir gelassen – und biege in die Feldwege ab. In Paderborn-Wever spricht mich eine ältere Dame an, die ihre Rosensträucher im Vorgarten beschneidet: “Sie haben aber ein tolles T‑Shirt!” und fragt nach dem Grund für dieses T‑Shirt. Ich erkläre ihr die Hintergründe meines Laufes. Sie hört aufmerksam zu und meint dann: “Ich habe zwei künstliche Hüftgelenke, da weiß man, wie es ist, wenn man sich nicht so bewegen kann, wie man möchte. Und wenn man dann könnte, aber wegen der Krankenkasse nicht kann…” Sie wünscht mir für mein Vorhaben viel Erfolg. Ich gebe ihr noch ein paar Flyer, dann ziehe ich weiter.
Bis Salzkotten sind es rund 15 km. Ich komme an Feldern vorbei, ziehe durch kleine Waldgebiete, sehe Windräder und Autoschnellstraßen. So langsam beginnt sich meine Rucksack bemerkbar zu machen. Sein Gewicht drückt, hinzu kommt, dass auch die Temperaturen langsam aber sicher in Bereiche wandern, die ich erst für die nächsten Tage erwartet habe.
Vorbei an Wegkreuzen und abgemähten Feldern, mit einer kleinen Trinkpause an einem schattigen Plätzchen dazwischen, erreiche ich schließlich Salzkotten. Auf der Hauptstraße von Salzkotten begegnet mir eine ältere Frau. Als sie auf mich zukommt, ruft sie: “Die Frau kenne ich!” aus. Verduzt bleibe ich stehen. “Die war im letzten Jahr bei uns mit einem ganz großen Artikel in der WZ.”, fährt sie fort – richtig: Sigrun war mit einem großen Artikel in der Westdeutschen Zeitung, nach ihrer Teilnahme beim Schwebebahn-Lauf.

Wir kommen ins Gespräch. “Ich komme aus Wuppertal”, erklärt mir die Dame mit einem Augenzwinkern, “und habe diese Frau auch immer wieder einmal in der Stadt gesehen.” Als sie erfährt, dass Sigruns Krankenkasse die Übernahme der Sportprothese verweigert und Sigrun diese nun mit Spenden finanzieren muss, erklärt sie mir: “Die Krankenkasse soll sich was schämen. Die könnten eigentlich froh sein, so jemanden als Vorbild mit einer Sportprothese versorgen zu können.” Bevor jeder von uns seine Wege zieht, gebe ich ihr noch ein paar Flyer, die sie in ihrem Freundeskreis verteilen will, dann ziehe auch ich meiner Wege – Richtung Geseke.
Nach Geseke sind es von Salzkotten ungefähr 10 km. Doch diese Kilometer ziehen sich. Meine Hoffnung, die Strecke in zwei Stunden zu schaffen, verfliegt. Die Temperaturen sind mittlerweile bei 23°C…
In Geseke führt mein erster Weg in ein Eiscafè am Marktplatz. Weil es mir draußen zu warm ist, suche ich mir einen Platz in der hintersten Ecke und bestelle mir ein großes Glas Leistungswasser mit Eiswürfeln und einen großen Eisbecher mit erfrischendem Fruchteis,
Danach gönne ich mir noch einen großen Eiskaffee, wieder mit einem großen Glas Leitungswasser mit Eiswürfeln, bevor ich mich wieder auf den Weg mache
Der Ort wirkt wie ausgestorben. Hin und wieder laufen Menschen durch die Straßen, aber viele Geschäfte haben geschlossen, nur die Lebensmittel-Supermärkte haben regen Zulauf.
Ein beinamputierter Mann mit seinem Elektroscooter, etwa in meinem Alter, kreuzt immer wieder meinen Weg. Mein Shirt scheint sein Interesse geweckt zu haben. Aber als ich ihn ansprechen will, sucht er auf einmal ganz schnell das Weite. Schließlich mache ich mich auf den Weg nach Erwitte – ein Verkehrsschild verrät mir, dass ich noch 14 km vor mir habe. Der Einfachheit halber beschließe ich, dass ich jetzt der Bundesstraße 1 folgen werde, an der Erwitte liegt.
Auch Erwitte ist, wie schon Geseke, ein Ort, wo ich nur wenigen Menschen auf der Straße begegne. Ich organisiere mir ein Hotelzimmer für die Übernachtung und mache mich auf den Weg dorthin. Im Erwitter Bruch, durch den ich komme, ärgert es mich, dass ich meine Kamera nicht dabei habe – dort ist es gelungen, Weißstörche wieder anzusiedeln und direkt vor meiner Nase tummeln sich drei prachtvolle Störche. Was würde ich jetzt für ein gutes Teleobjektiv geben…
Auch eine Mutter, die mit ihrem kleinen Sohn mit dem Fahrrad unterwegs ist, beobachtet die Szene. Wir kommen ins Gespräch und sie spricht mich auf mein Shirt an. Ich erkläre ihr die Hintergründe zu meinem Lauf, dass ich bereits seit Freitag unterwegs sei und mein Ziel ist, Wuppertal mit einer möglichst großen Spendensumme für Sigruns Sportprothese zu erreichen. Wir unterhalten uns über die Peversität des Gesundheitssystems, wo es nicht darum geht, was Menschen hilft, sondern nur darum, was möglichst viel Geld einbringt. Ich gebe ihr einen Flyer, bevor ich mich verabschiede und auf die letzten Meter zu meinem Hotel begebe.
Im Hotel angekommen, ziehe ich als erstes meine Schuhe aus. Meine Füße brennen wie verrückt. Als ich mir die Ursache dafür ansehe, stelle ich fest, dass ich zwei offene Blasen unter den Ballen habe – trotz der Blasenpflaster, die ich heute morgen noch extra auf ihren Sitz überprüft habe.
Nun gut – ich wasche erst einmal meine Füße, damit sie abkühlen. Für die Nacht werde ich die Blasen ohne Pflaster lassen – morgen früh werden dann wieder zwei große Blasenpflaster darüber kleben. Und vielleicht werde ich auch zum ersten Mal seit langer Zeit mir ein Schmerzmittel einwerfen müssen …
Wie die Tage zuvor natürlich auch heute das Höhenprofil zu meiner 38 km langen Tour…
